Die Wirbelsäule

Das Achsenskelett des Rumpfes ist die Wirbelsäule, Columna vertebralis (Abb. 66), die aus 33 — 34 knöchernen Teilstücken oder Segmenten, den Wirbeln, Verlebrae, auf gebaut ist. Sie liegt im Rumpfquerschnitt dorsal. Dorsal gerichtete Fortsätze der Wirbel dringen in fast geschlossener Reihe bis an die Haut des Rückens vor, so daß sie dort abgetastet oder bei mageren Menschen sogar gesehen werden können. Daher stammt die ursprünglichere und volkstümliche Bezeichnung der Wirbelsäule als Rückgrat.

Die Wirbelsäule

Nach ihrer Lage im Körper kann man verschiedene Abschnitte der Wirbelsäule und damit auch folgende Arten von Wirbeln unterscheiden:

Wirbeln unterscheiden

Ais Typus des Wirbels soll aus bestimmten Gründen der Brustwirbel (Abb. 69) gewählt werden.

Brustwirbel

Jeder Wirbel hat die Form eines Ringes. Er besteht aus einem ventralen massigen Knochenstück, dem Wirbelkörper, Corpus vertebrae, und einem dorsalen schmalen Stück, dem Wirbelbogen, Arcus vertebralis. Das Loch des Ringes heißt Wirbelloch, Foramen vertebrale. Die gesamten Wirbellöcher bilden den Wirbelkanal, Canalis vertebralis, der das Rückenmark und seine Hüllen beherbergt.

Der Wirbelkörper ist ein niedrigzylindrisches Knochenstück, das aus einer dünnen Kompaktalamelle und aus Spongiosa besteht, die mit rotem Knochenmark ausgefüllt ist.

Er hat zwei ebene Endflächen, die der Anheftung der Zwischenwirbelscheiben dienen. Die ventrale, konvexe Seite des Körpers ist leicht ausgehöhlt. Der Körper der meisten Brustwirbel trägt noch zwei flache Gelenkpfannen, die der gelenkigen Verbindung mit den Rippen dienen: Fovea, costalis superior und inferior.

Der Wirbelbogen des Brustwirbels trägt 7 wohlausgebildete Fortsätze: 1 Dornfortsatz, Processus spinosus, 2 Querfortsatze, Processus transversi, und 4 Gelenkfortsätze, Processus articulares.

Geht man vom Wirbelkörper aus, so kann man am Arcus vertebralis unterscheiden: ein Anfangsstück oder die Wurzel des Bogens Pediculus [Radix] arcus, ein kräftiges Seiten- oder Gelenkstück mit den Gelenk- und Querfortsätzen und ein plattes Schlußstück, Lamina Q arcus mit dem unpaaren Dornfortsatz.

Da die Bogenwurzel nicht von der ganzen Höhe des Wirbelkörpers entspringt, entstehen an ihr ein flacher oberer Einschnitt, Incisura vertebralis superior, und ein tieferer unterer Einschnitt, Incisura vertebralis inferior. Durch die Incisura inferior eines Wirbels und die Incisura superior des caudalen Nachbarwirbels wird ein Loch gebildet, das Foramen intervertebrale, das dem Austritt der Rückenmarksnerven aus dem Wirbelkanal dient (s. Abb. 66, 72,73).

Bänder der Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule

Das Seiten- oder Gelenkstück des Wirbelbogens besitzt bei den Brustwirbeln vier annähernd frontal gestellte Gelenkfortsätze, Processus articulares, zwei obere (superiores) und zwei untere (inferiores), die mit überknorpelten, fast kreisrunden Gelenkflächen versehen sind. Sie dienen der gelenkigen Verbindung mit dem oberen und unteren Nachbarwirbel.

Ferner geht von diesem Abschnitt des Wirbelbogens noch auf jeder Seite ein kräftiger Querfortsatz, Processus transversus, aus, der als Angriffspunkt für Muskeln und als Widerlager für die Rippen dient. Da nur die Brustwirbel Rippen tragen, ist es verständlich, daß der Querfortsatz bei den anderen Wirbeln zurückgebildet und nur noch in Resten vorhanden ist. 

Die Dornfortsätze der Brustwirbel sind dreikantig und steigen zum Teil steil nach abwärts, so sich dachziegelartig überlagernd und die Spalträume zwischen den Wirbelbögen verschließend.

Die Hauptteile des Wirbels: Körper, Bogen und Fortsätze haben folgende Aufgaben und verdienen daher folgende funktionelle Bezeichnungen: Der Wirbelkörper trägt die Last = Tragstück, der Wirbel-bogen schützt das Rückenmark = Sclmtzstück, drei Fortsätze (zwei Quer- und ein Dornfortsatz) dienen dem Angriff von Muskeln — Hebelwerk des Wirbels (s. Abb. 59).

Schema eines Wirbels mit funktionellen Bezeichnungen.

Von diesem Typus des Brustwirbels weichen die anderen Wirbelarten in folgenden Besonderheiten ab: Die Körper der Halswirbel (Abb. 68) sind klein, da die  Kopf zu tragen hat. Das Wirbelloch ist weit und hat die Form eines Dreiecks mit abgerundeten Ecken. Die Dornfortsätze sind kurz und bis auf den des 7. Halswirbels gegabelt. Letzterer ist am längsten und stärksten und springt am meisten unter der Haut vor. Deshalb wird der 7. Halswirbel auch Vertebra prominens (Abb. 66) genannt. Der Querfortsatz teilt sich an seinem lateralen Ende in zwei Höcker, Tuberculum anterius und posterius, und besitzt an seiner cranialen Fläche eine tiefe Rinne für den Halsnerven, Sulcus nervi spinalis. Die auffallendste Besonderheit des Querfortsatzes der Halswirbel ist ein rundliches Loch, das als Foramen [costo-] transversarium bezeichnet wird, da seine vordere Begrenzung dem Rest einer Rippe, seine hintere dem eigentlichen Querfortsatz entspricht (s. Abb. 60). Durch die Querfortsatzlöcher zieht die Arteria und Vena vertebralis.

Halswirbel

Links Halswirbel, rechts Brustwirbel. Schraffiert ist die Rippe bzw. der ihr entsprechende Teil des Halswirbels.

Durch die gelenkige Verbindung des Schädels mit der Halswirbelsäule werden sowohl der 1. Halswirbel oder Atlas wie auch der 2. oder Axis [Epistropheus] in ihren Formverhältnissen sehr abweichend von den übrigen Halswirbeln gestaltet.

Der Atlas (Abb. 67), der Träger des Kopfes, besteht hauptsächlich aus zwei massigen Seitenstücken, Massae laterales, die die Gelenkflächen für die Gelenkverbindung des Atlas mit dem Schädel und dem 2. Halswirbel tragen. Beide Massae laterales sind durch einen vorderen und hinteuen schmalen Bogen, Arcus anterior und posterior, miteinander verbunden.

Atlas und Axis von dorsal und cranial gesehen

Der Arcus anterior besitzt an seiner Vorderfläche einen kleinen Höcker, Tuberculum anterius, an seiner hinteren Fläche eine Gelenkfläche, Fovea dentis, die mit dem Zahn, Dens, des 2. Halswirbels artikuliert. Der Arcus posterior trägt an Stelle des Dornfortsatzes ein Tuberculum posterius. Dort, wo er von der Massa lateralis abgeht, liegt an seiner kranialen Fläche eine Furche, Sulcus arteriae vertebralis, die bisweilen durch eine sie überbrückende Knochenspange in ein Loch verwandelt sein kann. Die Querfortsätze des Atlas ragen seitlich so weit vor, daß ihre rundliche, höckerlose Spitze bei manchen Menschen unterhalb des Warzenfortsatzes abzutasten ist. Der Atlas ist der breiteste von allen Halswirbeln (vgl. Abb. 66).

Am Axis [Epistropheus] (Abb. 67) ist besonders auffallend ein von seinem Körper in cranialer Richtung ausgehender, zapfenförmiger Fortsatz, der Zahn oder Dens, der, wie die Entwicklungsgeschichte lehrt, ein Teil des Atlaskörpers ist, der mit dem Körper des 2. Halswirbels verschmilzt.

Der Dens des 2. Halswirbels endet mit der Apex dentis und trägt zwei Gelenkflächen: Facies articularis anterior und posterior.

Zur gelenkigen Verbindung mit dem Atlas dienen zwei craniale, fast ebene, lateral und dorsal abfallende Gelenkflächen, Facies articulares laterales, und zur Verbindung mit dem 3. Halswirbel zwei Facies articulares inferiores.

Die Gelenkflächen des Atlas sowie die Gelenkverbindungen zwischen Schädel, Atlas und Axis sollen später als Kopfgelenke beim Schädel beschrieben werden.

Die Körper der Lendenwirbel (Abb. 70) sind hoch und breit, am kräftigsten von allen Wirbeln (Grund?). Auch die Gelenkfortsätze sind sehr kräftig und sagittal gestellt. Jeder obere Gelenkfortsatz besitzt einen kleinen rundlichen Höcker, Processus mamillaris. Die Querfortsätze sind lang und platt. An ihrer Basis springt ein kleiner Fortsatz, Proc. accessorius, dorsalwärts vor. Die Querfortsätze der Lendenwirbel stellen Rippenreste dar und werden deshalb Processus costarii genannt. Am 7. Hals- und 1. Lendenwirbel kann gelegentlich noch eine freie, selbständige Rippe als Halsbzw. Lendenrippe auftreten.

Lendenwirbel

Die Dornfortsätze der Lendenwirbel sind sehr stark, an beiden Seiten abgeplattet und horizontal gestellt (s. Abb. 66 und 72,73).

Diese horizontale Stellung der Dornfortsätze bedingt es, daß an der Lendenwirbelsäule im Gegensatz zur Brustwirbelsäule der Zugang zum Wirbelkanal von dorsal her zwischen den einzelnen Wirbeln ziemlich weit ist. Deshalb kann man an dieser Stelle (in der Regel zwischen dem 3. und 4. Lendenwirbel) mit einer entsprechend langen Nadel bis in den Wirbelkanal Vordringen und entweder Rückenmarksflüssigkeit (Liquor cerebrospinalis) zu diagnostischen oder therapeutischen Zwecken entnehmen (Lumbalpunktion) oder eine anästhesierende Flüssigkeit einspritzen, die den unteren Abschnitt des Rückenmarkes lähmt und damit die ganze untere Körperhälfte schmerzenerapfindlicb macht (Lumbalanästhesie). Das Rückenmark im Wirbelkanal ist dabei nicht gefährdet, da es nur bis in Höhe des 1.— 2. Lendenwirbels nach abwärts reicht.

Die bisher beschriebenen 24 präsakralen Wirbel bilden den beweglichen, die restlichen 9 — 10 Wirbel den in sich unbeweglichen Teil der Wirbelsäule. Die 5 Kreuzwirbel sind mitsamt ihren Rippenresten zu einem großen kräftigen Knochen verschmolzen, dem Kreuzbein oder Os sacrum (Abb. 71), das zugleich einen wesentlichen Teil des Beckengürtels darstellt und die Last des Rumpfes auf das Becken überträgt. Der Knochen ist oben breit und dick, unten schmal und dünn und so gebogen, daß seine konkave Fläche gegen das Becken gerichtet ist, daher Facies pelvina genannt, und seine konvexe Fläche gegen den Rücken: Facies dorsalis.

Kreuzbein und Steißbein

Der Wirbelkanal setzt sich durch das Kreuzbein als Canalis sacralis (Abb. 66) fort, der sich dorso-caudalwärts als Hiatus canalis sacralis öffnet.

Facies pelvina:

Lineae transversae = Verschmelzungslinien der 5 Wirbelkörper. Foramina sacralia pelvina (beiderseits 4).

Facies dorsalis:

Crista sacralis mediana = Dornfortsätze der Kreuzwirbel, Crista sacralis intermedia = verschmolzene Gelenkfortsätze. Der oberste Gelenkfortsatz trägt eine Gelenkfläche zur Verbindung mit dem 5. Lendenwirbel. Der unterste Gelenkfortsatz ragt frei nach abwärts und heißt Horn oder Cornu sacrale.

Foramina sacralia dorsalia.

Crista sacralis lateralis = verschmolzene dorsale Ränder der Querfortsätze. Pars lateralis = Querfortsätze + Rippenreste. Facies auricularis = Gelenkfläche für das Hüftbein.

Auch die Steißwirbel (4 — 5) sind beim erwachsenen Menschen meistens durch Synostose zu einem einheitlichen Knochen verschmolzen, dem Steißbein oder Os coccygis (= Kukkucksbein, weil es so leicht gekrümmt ist wie ein Kuckucksschnabel). Die einzelnen Steißbeinwirbel sind stark zurückgebildete Wirbel, an denen die typischen Bestandteile eines Wirbels nicht mehr zu unterscheiden sind. Nur der 1. Steißbeinwirbel läßt noch zwei kleine Querfortsätze und Reste der cranialen Gelenkfortsätze erkennen, die als Cornua coccygeum bezeichnet werden. Im Alter verwächst das Steißbein auch mit dem Kreuzbein, beim Manne früher als bei der Frau.

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